Gemeinsam den Wandel gestalten: Mit der im September 2015 verabschiedeten Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft zu 17 globalen Zielen für eine bessere Zukunft verpflichtet. Dabei unterstreicht die Agenda 2030 die gemeinsame Verantwortung aller Akteur*innen: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft – und jedes einzelnen Menschen. Barthel Pester hat mit der amtierenden VEN-Geschäftsführerin Katrin Beckedorf und ihrem langjährigen Vorgänger Hannes Phillipp darüber gesprochen,wie globale Ziele auf Landesebene umgesetzt werden müssen und wie der VEN dabei unterstützen kann.
Warum brauchen wir überhaupt Entwicklungspolitik auf Landesebene?
Katrin Beckedorf: 2015 wurden auf UN-Ebene die Nachhaltigkeitsziele (kurz SDGs, engl. Sustainable Development Goals) beschlossen. Es gibt diverse Ministerpräsidentenbeschlüsse, die besagen, dass wir das nur umsetzen können, wenn die Bundesländer an diesen Prozessen mitarbeiten.
Weil es anders schlicht nicht geht. Ich meine, wie willst du die SDGs umsetzen, wenn nicht von unten? Das geht nur, wenn jede kleine Kommune mitmacht. Und wir sehen ja in Niedersachsen, dass diese Erkenntnis wächst. Das Land hat analog zu den SDGs die entwicklungspolitischen Leitlinien
beschlossen und darin auch erklärt, dass es an der Umsetzung der SDGs arbeiten wird.
Das steht auch so im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in Niedersachsen.
KB: Richtig; du wirst die SDGs nur bottom-up umsetzen können. Das geht nicht top-down, wenn du gesellschaftliche Veränderung in Richtung einer gerechteren Welt willst. Für diese Veränderung braucht es Dialog. Die SDGs sind auch nicht in Stein gemeißelt, aber sie sagen: Wir müssen etwas verändern, sonst kommen wir nicht mehr weiter mit unserem Handeln und Wirtschaften.
Und da setzt auch das vom VEN getragene Eine Welt-Promotor* innen in Niedersachsen an, das zahlreiche, meist ehrenamtliche Initiativen in ihrem lokalen Einsatz unterstützt und so zivilgesellschaftliches Engagement fördert?
KB: Genau. Das Ziel des bundesweiten Programms ist die Stärkung der Zivilgesellschaft und ihres Engagements für eine global nachhaltige und gerechte Welt. Zur Umsetzung der SDGs brauchen wir eine aktive Gesellschaft. Und eine aktive Gesellschaft braucht zivilgesellschaftliche Strukturen. Die Eine Welt-Promotor*innen stärken bürgerliches Engagement, in dem sie beraten, qualifizieren und vernetzen. Das ist sozusagen ein Dreiklang. Im Grunde professionalisieren sie das Eine-Welt-Engagement. Dazu gehört etwa die Antragsberatung: Wie setze ich ein Projekt um und wie beantrage ich Gelder; aber auch Schulungen zum Vereinsrecht: Wie führe ich den Verein, wie arbeite ich mit Ehrenamtlichen? Die Eine Welt-Promotor*innen vernetzen vor allem Akteur*innen in den Regionen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, damit alle zusammen an der Umsetzung der Agenda 2030 arbeiten. Darüber hinaus setzen sie wichtige Impulse, indem sie Kampagnen initiieren oder lokale Netzwerke schaffen.
Unser Handeln hier nimmt Einfluss darauf, was in anderen Teilen der Welt passiert. Act local, think global. Meint ihr die Botschaft ist schon überall angekommen?
KB: Ich behaupte, dass heute bei fast allen Parteien ein klares Bewusstsein darüber besteht, dass wir global denken und handeln müssen. Wir können unsere Probleme nur lösen, wenn wir in Zusammenhängen über den Tellerrand hinausdenken. Trotzdem ist Entwicklungspolitik immer noch ein absolutes Randthema. Es besteht eine Riesendiskrepanz zwischen der Erkenntnis, dass unser derzeitiges Wirtschafts-und Konsummodell Schaden in Ländern des Südens anrichtet und einem veränderten Handeln. Da gibt es noch einen riesigen Handlungsbedarf. Und das ist in unserer Arbeit nicht ganz einfach. Sobald du anfängst, einen starken Wirtschaftszweig im eigenen Bundesland zu kritisieren – weil dieser negative Auswirkungen in anderen Ländern der Welt zur Folge hat – wird es eben ungemütlich. Dann spüren wir die ungleich verteilten Lobbykräfte. Ich erinnere nur an den Export von Hühnerteilen nach Westafrika. Mit Steuermitteln wurden über das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Projekte zur Hühnerhaltung in Westafrika aufgebaut. Diese hat man hinterher mit der EU-Agrarsubvention wieder zerschossen, weil die tief gefrorenen Hühnerbeine aus Europa in westafrikanischen Ländern die lokalen Märkte kaputt machen. Diese Kritik an niedersächsischen Exporten wird nach wie vor nicht gern verstanden und macht Veränderung zäh und schwerfällig. Sobald du an die entscheidenden Fragen des Wirtschaftssystems kommst, bist du ein Störfaktor.
Katrin hat eben Westafrika angesprochen. Nur drei Prozent der Bevölkerung in ganz Afrika sind voll gegen Covid19 immunisiert. Und noch immer gibt es viel zu wenig Impfstoff. Afrikas Regierungen bemühen sich derzeit, die Herstellung von Vakzinen auch auf dem eigenen Kontinent zu ermöglichen, doch das kann noch dauern. Globale Impfgerechtigkeit sieht deutlich anders aus.
HP: Du hast Recht und das ärgert mich immens. Ich habe mehrere Jahre in Westafrika gelebt und weiß, dass die Menschen dort diesen Impfstoff viel nötiger haben. Ich weiß, wie die sozialen und hygienischen Bedingungen da sind. Die Erforschung der Impfstoffe ist nicht unwesentlich mit Steuergeldern gefördert worden. Aber privatwirtschaftlichen Firmen fahren die Rendite ein. Und ich finde es ein absolutes Unding, dass sich die Bundesregierung nicht für eine Freigabe der Impfstoffe eingesetzt hat.
Apropos Wirtschaft. Der VEN arbeitet schon länger zum Thema menschenrechtliche Unternehmensverantwortung. Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis forderte und fordert ein Lieferkettengesetz. Es soll Unternehmen zur Verantwortung ziehen, wenn Rechte entlang der Lieferkette verletzt werden. Wie zufrieden seid ihr mit dem in diesem Jahr verabschiedeten Gesetz auf Bundesebene?
KB: Das Gesetz bearbeitet ein wichtiges globales Problem: Lieferketten heutzutage sind unglaublich komplex und lang. Da verliert man schnell den Überblick über die einzelnen Produktionsschritte und unter welchen Bedingungen Menschen am Endprodukt mitarbeiten. Es gibt auch in der Bevölkerung wahrnehmbar Unmut darüber, dass man als Käufer*in gar nicht mehr sehen und beurteilen kann, was man kauft. Und ich finde, da ist das Lieferkettengesetz ein Anfang, um künftig große Tragödien zu vermeiden. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dass die Zivilgesellschaft so viel Druck gemacht hat, war sehr wichtig. Wir dürfen nur nicht stehen bleiben. Das gilt auch für Klimagerechtigkeit. Die Menschen im Globalen Süden leiden besonders unter den Folgen des Klimawandels. Das im Pariser Klimaabkommen erreichte 1,5 Grad-Ziel ist laut einem UN-Bericht aus dem September diesen Jahres ohne ein sofortiges Umsteuern mittlerweile unerreichbar.
Wie entwickelt die Weltgemeinschaft mehr Ehrgeiz, einmal gesetzte Ziele auch umzusetzen?
KB: Seit die „Fridays for Future“-Bewegung den Protest auf die Straße gebracht hat, bewegt sich die Politik mehr. Das spricht also wieder für eine aktive Zivilgesellschaft. Gemeinsam können wir etwas bewegen.
HP: Ich kann das voll mittragen, was Katrin gesagt. Im Welthungerbericht ist das Ziel formuliert, den Hunger zu halbieren. Der Hunger nimmt aber wieder zu. Ich glaube, die Staatengemeinschaft könnte dafür sorgen, dass das aufhört. Hunger ist politisch gemacht. Und Politik, die etwas macht, kann man auch verändern. Und ich glaube dafür stehen wir: Dass sich Politik in dem Sinne verändert, wie Katrin das eben gesagt hat. Wir brauchen Verteilungsgerechtigkeit. Auch bei Nahrungsmitteln, bei Ressourcen, etc. Für mich ist das die Klammer, die mich immer motiviert hat weiterzuarbeiten.
KB: Und als Nachtrag: Ich freue mich, wenn ich das Engagement der jungen Menschen sehe. Sie haben klare Vorstellungen, wie sich etwas verändern muss. Dieses Engagement müssen wir unterstützen und dafür sorgen, dass sie nicht ausgebremst werden. Die jungen Menschen sind dran und es ist ihre Welt von morgen für die sie einstehen.
Ich danke euch beiden, Katrin und Hannes, für dieses Gespräch.
Hier geht es zu Teil eins des Gespräches, das auf die Anfänge und Entwicklung des VEN blickt