Positionspapier „Fluchtursachen: Globale Faktoren – globale Verantwortung", Dezember 2015

Hintergrund

Dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge waren 2014 weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht – Tendenz steigend. Nur ein Drittel von ihnen sucht Zuflucht in einem anderen Land, die Mehrheit davon in unmittelbaren Nachbarländern vor Ort. Nur ein kleiner Teil schafft die Flucht nach Europa. Deutschland rechnet dieses Jahr mit etwa 800.000 Geflüchteten, knapp zehn Prozent davon werden nach Niedersachsen kommen. Zu den Hauptherkunftsländern zählen derzeit Syrien, Eritrea, Somalia, Irak, Pakistan und Afghanistan – Länder, in denen oft jahrzehntelange Konflikte vorherrschen.

Die Gründe für Menschen, ihr Land zu verlassen, sind vielfältig. Zu den Hauptfluchtursachen zählen Kriege und Konflikte sowie staatliche Repression, Menschenrechtsverletzungen oder politische, ethnische, religiöse oder sonstige Verfolgung. Aber auch Naturkatastrophen, Klimawandel, Armut und soziale Not oder fehlende Perspektiven für ein würdiges Leben zwingen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Diese Flucht- bzw. Migrationsursachen hängen oftmals miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig. Zudem werden sie durch globale Strukturen weiter verschärft.

Das Land Niedersachsen ist eingebunden in globale Strukturen und ist dementsprechend auch gefordert, sich der Verantwortung für die Auswirkungen dieser Strukturen zu stellen. Die entwicklungspolitischen Leitlinien der niedersächsischen Landesregierung, im September 2015 durch das Kabinett verabschiedet, bestätigen die globale Verantwortung für die Landespolitik.

Fluchtursachen und ihre globalen Faktoren

Kriege und Konflikte

Abgesehen von den kolonialen Grenzziehungen ohne Beachtung ethnischer und gesellschaftlicher Beziehungen, die als eine der Ursachen von Konflikten gelten, werden Kriege auch heute noch durch wirtschaftliche und politische Interessen anderer - auch westlicher Staaten - beeinflusst. Der internationale Waffenhandel steigt stetig. Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure weltweit. Deutsche Waffen gelangen direkt oder über Umwege zu Konfliktparteien in Krisengebieten und verschärfen hier die Zustände. Nachdem 2014 die deutschen Exporte gesunken sind, ist 2015 ein Rekordjahr.


Globale Wirtschaft - Armut und soziale Not

Die globalen Wirtschaftsbeziehungen sind zugunsten der Industriestaaten ausgelegt; die Länder des globalen Südens dienen in diesem System vor allem als billige Rohstofflieferanten und Absatzmärkte. Freihandelsabkommen ermöglichen zollfreie Zugänge zum Beispiel zu afrikanischen und lateinamerikanischen Märkten für subventionierte oder quersubventionierte europäische Produkte. Sie zerstören damit lokale Märkte und Wertschöpfungsketten und führen vor Ort in Armut und soziale Not.

Staatliche Repression und Verfolgung

Nach wie vor werden korrupte Eliten von westlichen Ländern unterstützt, wenn es der eigenen Sache dienlich ist. Menschenrechtsverletzungen oder Verfolgung von Oppositionellen, Pressevertreter_innen oder von Menschen anderer Ethnien, Religion oder Sexualität, werden von westlichen Staaten – auch Deutschland – gerne übersehen, wenn wirtschaftliche oder politische Interessen bestehen.

Klimawandel

Der Klimawandel ist Realität. Betroffen von seinen Auswirkungen – vermehrte Naturkatastrophen, Dürre, Anstieg des Meeresspiegels – sind die Länder, die am wenigsten Verantwortung für den Klimawandel tragen. Die größten CO2-Verursacher sind die Industrieländer und die sogenannten Schwellenländer. Neben der enormen Energieverschwendung unserer Wachstums- und Konsumgesellschaft wird der Klimawandel auch durch konkrete wirtschaftliche Projekte, die mit Regenwaldzerstörungen riesigem Ausmaßes einhergehen - auch unter Beteiligung deutscher Unternehmen und Banken - verstärkt.


Forderungen an die Landesregierung

Der VEN fordert die Landesregierung auf, an den Fluchtursachen anzusetzen und alles in ihrem Rahmen Mögliche zu tun, um die Strukturen in den Heimatländern der Geflüchteten nachhaltig zu verbessern. Dafür sind ein Umdenken in Politik und Wirtschaft sowie ein verantwortungsbewusster Umgang mit den natürlichen Ressourcen notwendig. Orientierung bieten die im September 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals - SDGs). Der VEN begrüßt die entwicklungspolitischen Leitlinien des Landes Niedersachsen und fordert deren konsequente Umsetzung und Erweiterung hinsichtlich der Bekämpfung von Fluchtursachen.


Konkret fordert der VEN die Landesregierung auf, ...

1. ... jegliche Form der Migration als Menschenrecht zu verstehen.
2. ... sich für die legale Einwanderung einzusetzen.
3. ... bürokratische Hemmnisse bei der Einwanderung und Barrieren für Geflüchtete und Migrant_innen beim Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit abzubauen.
4. ... die Einbindung der Expertise von Migrant_innen und Geflüchteten in der Entwicklungszusammenarbeit zu fördern, um Fehlentscheidungen der Zukunft zu vermeiden.
5. ... sich grundsätzlich gegen die militärische Unterstützung von Konfliktparteien auszusprechen und auf allen Ebenen für gewaltfreie Lösungen einzutreten sowie friedliche zivilgesellschaftliche Akteur_innen vor Ort zu fördern.
6. ... jegliche Form von Rüstungsexporten und Rüstungsexportförderung aus Niedersachsen zu stoppen.
7. ... ein faires und gerechtes Weltwirtschaftssystem und die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen voranzutreiben. Konkret kann dies in Form der Einhaltung und eines Ausbaus des Vergabegesetzes geschehen. Zudem sollte sich die Landesregierung gegen einseitige Handelsabkommen mit den Ländern des globalen Südens aussprechen (EPAs).
8. ... Billigexporte in Länder des globalen Südens, die lokale Märkte zerstören (wie Fleischexporte nach Westafrika), und entsprechende Subventionen zu verhindern.
9. ... eine klare Positionierung gegenüber dem Ressourcenraub durch Landgrabbing, Überfischung, Abbau von Erzen, Öl, etc. durch Staaten oder internationale Konzerne einzunehmen.
10. ... den Ausbau erneuerbarer Energien und nachhaltiger Ressourcennutzung voranzutreiben und in den Ländern des Südens durch Know-How- und Technologietransfer zu unterstützen.
11. ... sich auf Bundesebene für eine Entwicklungspolitik einzusetzen, die Wertschöpfung und nachhaltige Produktion in Ländern des globalen Südens stärkt.
12. ... die Zusammenhänge von globaler Ungleichheit und damit die Ursachen von Flucht in der öffentlichen Diskussion und der Bildung zu stärken und damit Rassismus und Diskriminierungstendenzen entgegenzuwirken.
Der VEN setzt sich gemeinsam mit seinen Mitgliedern für weltweite globale Gerechtigkeit und für die Beseitigung von Fluchtursachen ein, durch
• Informations- und Bildungsarbeit sowohl zu Fluchtursachen und ihren globalen Zusammenhängen als auch zu Auswirkungen und Chancen von Migration für Ziel- und Herkunftsländer;
• konkrete entwicklungspolitische Projekte mit dem Ziel, auch in Niedersachsen Veränderungsprozesse anzustoßen und zu begleiten;
• Angebote zu Interkultureller Sensibilisierung und Antirassismus;
• Partnerschaftsprojekte, die zu konkreten Veränderungen im globalen Süden beitragen;
• Stärkung und Unterstützung aktiven bürgerschaftlichen Engagements für globale Gerechtigkeit und eine zukunftsfähige Entwicklung in Niedersachsen.

Hier das Positionspapier zum Download

Hier finden Sie die Reaktion von Ministerpräsiden Stephan Weil auf das Positionspapier.

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