GenerationendialogDer VEN ist ein Zusammenschluss von über 100 Eine Welt-Initiativen und das Sprachrohr für Menschen, die sich in Niedersachsen für globale Gerechtigkeit einsetzen. Wir bieten eine Plattform zum Austausch und zur Vernetzung. YSD Germany und der Verein Straßenkinder Tansania sind in der Region Lüneburg ansässig. Beide Organisationen arbeiten mit Partner* innen aus dem Globalen Süden zusammen. 

Juliane Jesse hat zwei Vertreter*innen der Vereine zusammengebracht und zum Dialog eingeladen.

Amelie Schober (YSD Germany) engagiert sich seit fünf Jahren bei YSD Germany. Dort ist sie für die Buchhaltung und Bildungsarbeit zuständig. Sie hat Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften studiert und interessiert sich besonders für Klimawandel, globale Gerechtigkeit und Politik. Sie ist 29 Jahre alt.

Detlef Fehrmann (Straßenkinder Tansania) engagiert sich seit 4 Jahren bei Straßenkinder Tansania. Der 59-Jährige ist Schatzmeister und kümmert sich um die Pressearbeit des Vereins. Er ist Multiprojektmanager bei einer Sparkasse und wohnt in Amelinghausen – im Landkreis Lüneburg.

 

YSD Germany

YSD

Amelie Schober: YSD Germany steht für Youth for Sustainable Development – also Jugend für nachhaltige Entwicklung. Ich vertrete den deutschen Part, unsere Partnerorganisation YSD Malawi wurde schon deutlich eher gegründet. Unser Team besteht aus sechs jungen Menschen, die noch alle unter 30 sind. Wir setzen uns für Klimagerechtigkeit ein, die vor allem auch eine Frage globaler Gerechtigkeit ist. Hier im Globalen Norden wollen wir darüber aufklären, woher globale Ungerechtigkeiten kommen. Im Zuge des Kolonialismus, konnte der Globale Norden mit der Industrialisierung eine Machtposition erlangen. Hier wurde und wird ein Großteil des CO 2 ausgestoßen, während die Menschen im Globalen Süden vor allem und bisher am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Deshalb hat aus unserer Sicht der Globale Norden die Verantwortung, diesem Machtungleichgewicht entgegen zu wirken. Wir müssen unsere Privilegien nutzen, um einen Ausgleich zu schaffen. Als YSD Germany stellen wir daher Förderanträge und nutzen Geld aus Deutschland, um damit Klimaanpassungsmaßnahmen in Malawi zu finanzieren. Unsere Partner* innen vor Ort sind studierte Umweltwissenschaftler* innen: Sie machen Workshops für Landwirt*innen zu klimaresilienter Landwirtschaft, der Konservierung von Essen oder Förderung von indigenem Wissen. Außerdem leisten wir in Deutschland Bildungs- und Aufklärungsarbeit, bei der wir auch immer wieder Rassismus und koloniale Kontinuitäten in den Blick nehmen.

 

Straßenkinder Tansania

Twahil mit seinen Schulfreunden web

Detlef Fehrmann: Seit 2004 ist der Verein Straßenkinder Tansania im östlichen Afrika aktiv, um die Lebensbedingungen von Straßen- und Waisenkindern in der Region Singida zu verbessern. Viele Kinder dort haben kein Zuhause oder sind Waisen. Sie leben auf der Straße, weil es dort kein soziales Netz wie in Deutschland oder anderen Teilen Europas gibt, das sie auffängt. Wir wollen die Grundbedürfnisse dieser Kinder erfüllen: Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf und medizinische Versorgung. Dafür arbeiten wir mit einem Heim zusammen, das vom Verein Städtepartnerschaft Salzburg-Singida getragen wird. Durch die Finanzierung eines Streetworkers versuchen wir auch Straßenkindern und -jugendlichen zu helfen, die wegen der begrenzten Kapazitäten im Wohnheim nicht aufgenommen werden können. Das eigentliche Ziel des Vereins ist aber, den Kindern eine Schulausbildung zu ermöglichen und dass sie nach der Schule einen Beruf erlernen. Denn nur mit einer guten Ausbildung haben sie die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Früher hatten wir auch mal ein eigenes Kinderheim in Singida. Das haben wir selbst aufgebaut, die angestellten Betreuer*innen haben ca. 40 Kinder umsorgt. Finanziert haben wir das aus unseren Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Durch eine Förderung mit öffentlichen Geldern konnten wir das Haus mit Solarenergie betreiben und eine Anlage für Regenwasseraufbereitung bauen. Vor circa fünf Jahren gab es dann aber Unmut in der lokalen Verwaltung, dass wir als Deutsche das Heim aus der Ferne betreiben. Sie haben uns zur Schließung gezwungen.


Partnerschaftsarbeit

AS: Habt ihr mit den Leuten mal darüber gesprochen, was der genaue Grund dafür ist oder habt ihr eine Idee, wie das kam?

DF: Wir haben natürlich versucht bei der Stadtverwaltung nachzufragen und haben auch unsere Kontaktpersonen vor Ort eingebunden, aber die Verantwortlichen der Stadt haben jegliche Kontaktversuche abgeblockt. Wir wissen bis heute nicht woher dieser Sinneswandel kam.

AS: Ich habe da zumindest eine Vermutung: Tansania wurde von Deutschland kolonialisiert, jahrelang unterdrückt und ausgebeutet. Da kann ich schon verstehen, wenn Gedanken aufkommen wie „Jetzt kommen schon wieder die Weißen, wollen uns helfen und sagen uns dabei, was wir zu tun haben.“

DF: Da kannst du natürlich Recht haben. Ihr scheint auch einen viel engeren Kontakt zu euren Partner*innen zu haben. Wir arbeiten mit einem ehemaligen Entwicklungshelfer zusammen, der vor Ort ist, einer Ansprechpartnerin der evangelischen Kirche und dem Leiter des Wohnheimes, mit denen wir regelmäßig Mailkontakt haben und die wir treffen, wenn wir nach Singida fahren.

AS: Für uns ist die wichtigste Grundlage von Partnerschaft der gegenseitige Austausch, sich einander zuhören und wissen, was beim Anderen los ist. Wir haben daher einmal im Monat ein längeres Skype-Gespräch und zwischendrin auch Kontakt über Messenger. Wir tauschen uns viel zu aktuellen Themen wie der Bundestagswahl aus, weil das Ergebnis auch Einfluss auf das Leben in Malawi hat. Unsere Arbeit basiert auf Freundschaft und Vertrauen.


Nachwuchssorgen

DF: Ich bin begeistert, wie idealistisch du bist. Ich fände es super, wenn wir uns dahin entwickeln könnten. Vielleicht ist das auch eine Generationenfrage. Wir sind gerade händeringend auf der Suche nach Nachwuchs. Wir brauchen unbedingt junge Leute – sowohl im Verein als auch im Vorstand. Es gibt Überlegungen an Schulen und der Uni noch mal Werbung für uns zu machen.

AS: Nachwuchs ist auch bei uns auch ein Thema. Es gibt eine große Debatte, wie wir Menschen finden, die auch zu uns passen. Das ist gar nicht so einfach, weil wir auch ein Freundeskreis sind. Je größer die Gruppe wird, desto anonymer wird es auch. Wir sind alle super idealistisch, haben große Ziele, aber eben auch nur begrenzte Kapazitäten. Das heißt, wir brauchen entweder mehr Menschen oder müssen eben unsere Ansprüche etwas runterschrauben. Junge Menschen ticken heutzutage auch ganz anders. Sie engagieren sich oft in mehreren Projekten gleichzeitig, haben keine Lust sich für längere Zeit an feste Strukturen zu binden. Auch wir sind den Schritt der Vereinsgründung überwiegend aus dem Grund gegangen, um als Verein offiziell Fördergelder beantragen zu können. Fast alle aktiven Vereinsmitglieder sind auch im Vorstand.


Organisation der Vereinsarbeit

DF: Wir sind eher klassisch organisiert und haben eine klare Hierarchie. Unser erster Vorsitzende Heidulf Masztalerz hat alle Fäden in der Hand. Er führt die meiste Korrespondenz mit Tansania – überwiegend per Mail – bei der Übersetzung ins Englische geht ihm meist jemand zur Hand. Um die Pressearbeit und die Pflege der Webseite kümmern sich weitere Vorstandsmitglieder. Heidulf ist das Zugpferd des Vereins. Seit der Gründung ist er dabei und seitdem auch erster Vorsitzender. Er hat über die Jahre ein großes Netzwerk gesponnen und wirbt auch viele Spenden ein. Ganz klar hat er die meisten Aufgaben, die größte Verantwortung aber auch die meiste Zeit. Wir anderen sind noch berufstätig; unser Engagement findet am Feierabend statt – oder auch Zwischendurch. Als Schatzmeister mache ich die Kontoführung, die Finanzplanung und natürlich auch die Mitgliederverwaltung und ziehe die Beiträge unserer knapp 120 Mitglieder ein. Und mit meinen 59 Jahren bin ich der Jüngste seit der zweite Vorsitzende aus Zeitgründen sich nicht mehr so intensiv kümmern kann.

AS: Ich mache bei uns auch die Buchhaltung; als junge Mutter ist es für mich gerade einfacher die Abrechnungen zu machen, da ich mir die Arbeit so frei einteilen kann. Wenn bei uns neue Aufgaben anstehen, schauen wir einfach, wer Lust darauf hat. Jede*r arbeitet nach den eigenen Kapazitäten, weil wir alle sehr verantwortungsvoll sind, klappt diese flexible Aufteilung sehr gut. Zwischendrin war auch immer mal wieder jemand im Ausland: Wir haben dann trotzdem Kontakt gehalten. Dank digitaler Kommunikation funktioniert das ja sehr gut. Inzwischen wohnen wir auch gar nicht mehr alle in Lüneburg, sondern sind verstreut bis nach Göttingen oder Wien. Unsere Aufgabengebiete verteilen wir jedes Jahr neu und Entscheidungen treffen wir im Konsensverfahren. Zum Glück sind wir uns meistens sehr einig. Aber wenn jemand mal Bedenken hat, die wir nicht ausräumen können, dann wird das auch nicht gemacht.


Visionen und Ziele

DF: Ich merke schon, dass es da große Unterschiede zwischen uns gibt. Nicht nur in der Form, wie wir arbeiten, sondern auch in unseren Ansätzen. Wir leisten an einem Ort in Tansania sehr konkrete Hilfe und unterstützen einzelne bedürftige Menschen die Spirale der Chancenlosigkeit zu durchbrechen. Euer Ansatz ist ja viel globaler. Uns verbindet die Idee, von unserem Reichtum in Deutschland etwas abzugeben und Fördermittel dahin zu lenken, wo sie helfen können.

AS: Stimmt, wobei ich noch einmal betonen möchte, dass es nicht darum geht, Malawi zu helfen. Die Menschen vor Ort wissen ganz gut alleine, was sie brauchen. Entsprechend schreibt unsere Partnerorganisation auch die Projektanträge und wir übersetzen sie dann ins Deutsche. Aber sie sind die Expert*innen mit einem Plan. Wir beschaffen das Geld dafür, weil nun mal ungerechterweise das Geld bei uns in Deutschland liegt. Mit unserer Bildungsarbeit hier wollen wir, dass auf lokaler und nationaler Ebene verstanden wird, wie Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung im globalen Kontext funktionieren können. Die Menschen sollen verstehen, dass zu Klimagerechtigkeit gehört, sich mit den globalen rassistisch und postkolonialen Machtstrukturen auseinander zu setzen. Wir können unsere Privilegien nutzen, um der ungleichen Machtverteilung entgegen zu treten.

DF: Nachdem was ich bisher mitbekommen haben, ist der Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen da auch sehr aktiv, eben solche Themen anzustoßen und nach außen zu kommunizieren. Das ist eine wichtige Arbeit. Ihr habt gute Ideen, mit denen ihr Gutes bewirkt.

Entwicklungsbegriff

AS: Ich würde mir wünschen, dass sich der VEN auch kritisch mit seinem Namen auseinandersetzt. Die Frage ist: Was bedeutet Entwicklung? Warum definieren wir manche Länder als entwickelt und andere als nicht? Ist man irgendwann fertig entwickelt? Aus unserer Sicht ist es völlig überholt, dieses Wort überhaupt noch zu benutzen. Wir sind entweder alle Entwicklungsländer oder der Globale Norden sollte sich entwickeln: im Sinne von Solidarität und Verantwortung zu übernehmen. So gesehen hat Deutschland noch großes Entwicklungspotenzial. Im gesellschaftlichen Diskurs wird der „Entwicklungsbegriff“ nur überwiegend als wirtschaftliche Entwicklung verstanden und damit der Globale Süden abgewertet. Mir gefällt der Gedanke sehr gut, zu sagen: Wir sind alle Entwicklungsländer – jeder in seinem eigenen Feld. Wir können und müssen uns alle weiterentwickeln. Wir alle wollen etwas gegen die ungleiche Verteilung von Geld und Macht tun. Wir sehen Probleme und wollen etwas verändern. Wir haben eine Vision von einer besseren Welt, die wir mit Idealismus, Motivation und Engagement verwirklichen wollen.

 

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