Die globalisierte Wirtschaft ist vernetzt wie nie zuvor. Viele Unternehmen sind direkt oder indirekt über Tochterunternehmen, ausgelagerte Produktionsstandorte, Einkauf von Rohstoffen, Zukauf von Produkten, aber auch Investitionen und Beteiligungen weltweit tätig. Damit haben sie auch Einfluss auf Länder des Globalen Südens.

 

Während auf die Einhaltung von Produktstandards über die Kontinente hinweg geachtet wird, werden Menschenrechte entlang der Lieferkette immer wieder missachtet. Rechte, die für uns in Deutschland selbstverständlich sind, werden verletzt – auch für Produkte „Made in Germany“. Neben der Verletzung grundlegender Arbeitnehmer*innenrechte wie Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Gewerkschaftsfreiheit, die von den ILO-Kernarbeitsnormen geschützt werden, gibt es eine Vielzahl weiterer Menschenrechtsverletzungen: Die Vertreibung und Zerstörung des Lebensraums indigener Gemeinschaften im Zuge von Landgrabbing für agrarindustrielle Projekte in Lateinamerika oder Asien. Die Finanzierung bewaffneter Konflikte im Bereich des Rohstoffhandels genauso wie der unkontrollierte Einsatz von giftigen Chemikalien und Kinderarbeit in der Rohstoffgewinnung in mehreren afrikanischen Ländern, um nur einige zu nennen. Eine gute Übersicht über relevante Fälle verschafft die Initiative Lieferkettengesetz auf dieser Seite.


Um Menschenrechte zu schützen, müssen deutsche Unternehmen ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen. Siehe dazu: Quiachon/Much, Menschenrechte. Unternehmen. Zukunft. Die Verantwortung von Unternehmen wurde u. a. durch die UN-Guiding Principles on Business and Human Rights (UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte) 2011 vom UN-Menschenrechtsrat international festgeschrieben. Seit 2016 gibt es in Deutschland den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), zur Umsetzung dieser Regelungen.

Verbindlichkeit vs. Freiwilligkeit

Bisher sind diese Bemühungen allerdings freiwillig. Es gibt eine klaffende Lücke zwischen der Erwartungshaltung von Gesellschaft und Politik und der Realität. Denn schon die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und auch der NAP formulieren eindeutig, dass von Unternehmen die Einhaltung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten erwartet wird. Gleichzeitig kommt eine Ende 2019 veröffentlichte Studie zu dem Ergebnis, dass von den 20 untersuchten deutschen Großunternehmen 90% keine ausreichenden Informationen zur Überwachung und zum Schutz von Menschenrechten verfügbar gemacht haben. Ähnliche Ergebnisse hatte schon eine 2016 vom ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung Markus Löning veröffentlichte Studie gezeigt.

Die im Rahmen des NAP-Monitorings vorab veröffentlichten Daten zeigen ein ähnliches Bild. Von den mehr als 3000 befragten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen kamen lediglich 464 der Aufforderung nach ihre Bemühungen überhaupt zu beschreiben. Von diesen 464 nannten nur rund 20% angemessene Maßnahmen. Für 2020 ist eine weitere Monitoringphase vorgesehen. Sollte diese ähnliche Ergebnisse liefern, könnte es zu einer gesetzlichen Regelung der Sorgfaltsanforderungen kommen.

Dabei sind der Schutz von Menschenrechten und wirtschaftlich besonders erfolgreich zu handeln keine Gegensätze, wie Prof. Nick Lin-Hi von der Universität Vechta im Band Mehr.Wert! Menschenrechte in globalen Lieferketten gezeigt hat.

Wirtschaftsstandort Niedersachsen

Auch das Land Niedersachsen und seine Wirtschaft sind Teil des globalen Produktionsnetzes. Niedersachsen ist ein europaweit führender Mobilitätsstandort. Der Wirtschaftsraum Wolfsburg-Hannover-Braunschweig gehört zu den größten Ballungsräumen der Automobilwirtschaft in Europa. Beim Abbau und der Weiterverarbeitung von Rohstoffen für die Autoindustrie kommt es immer wieder zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden. Niedersachsens Land- und Ernährungswirtschaft stellt nach der Automobilindustrie die wichtigste Branche im Land dar. Auch hier sind die globalen Verknüpfungen vielfältig:

Vom Anbau von Soja für die Produktion von Fleisch und der damit verbundenen Vertreibung der indigenen Bevölkerung in Südamerika bis hin zu den Fleischexporten nach West- und Südafrika, die dort die lokalen Märkte zerstören. Einige niedersächsische Unternehmen zeigen bereits Ansätze zur Umsetzung von Menschenrechten entlang Ihrer Lieferketten – an vielen Stellen gibt es jedoch noch Nachbesserungsbedarf.

Neben der Zivilgesellschaft beschäftigt das Thema der Unternehmensverantwortung zunehmend Politik und Wirtschaft in Niedersachsen und Deutschland. Einen Anstoß dafür haben nicht zuletzt die UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte (2011), dessen Umsetzung durch den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte in Deutschland (2016) und die Diskussion um ein Lieferkettengesetz gegeben.

UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte

Um Menschenrechte entlang der gesamten Wertschöpfungskette von multinationalen Unternehmen effektiver zu schützen, hat der UN-Menschenrechtsrat 2011 die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN-Guiding Principles on Business and Human Rights) verabschiedet.

Die UN-Leitprinzipien beruhen auf drei Säulen:

  • Staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte: Staaten sind völkerrechtlich verpflichtet, die Menschen „durch eine angemessene Politik, Regulierung und Rechtsprechung“ vor Menschenrechtsverstößen durch Unternehmen zu schützen. Die staatliche Schutzpflicht „liegt im Kern des internationalen Menschenrechtsregimes“
  • Unternehmensverantwortung zur Achtung der Menschenrechte: Unternehmen stehen in der Verantwortung, Menschenrechte zu achten, mögliche negative Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit zu beenden und zu beheben.
  • Zugang zu effektiven Rechtsmitteln: Als Teil ihrer Schutzverpflichtung müssen Staaten den Betroffenen von Menschenrechtsverstößen Zugang zu gerichtlichen und  (z.B. von Industrieverbänden oder Unternehmen  initiierten) außergerichtlichen Mitteln verschaffen, damit wirtschaftsbezogene Menschenrechtsverstöße „untersucht, geahndet und wiedergutgemacht“ werden.

UN Säulen

Die Bewertung der UN-Leitprinzipien fällt nicht ganz eindeutig, aber mehrheitlich positiv aus. Auf der einen Seite sind die UN-Leitprinzipien das bisher ambitionierteste völkerrechtliche Instrument, um Menschenrechte in globalen Lieferketten zu schützen. Auf der anderen Seite werden durch die Leitprinzipien weder die Staaten noch die Unternehmen direkt verpflichtet. Vielmehr sind die Leitprinzipien als Absichtserklärung und Darlegung eines gemeinsamen Verständnisses zu lesen. Ähnlich wie der UN Global Compact (2002). Besonders hervorzuheben ist jedoch, dass die UN-Leitprinzipien die Grundlage der seit 2011 verstärkten internationalen Entwicklung – hin zu mehr verbindlichen Regeln für Unternehmen – geschaffen haben. Ihre faktische Wirkung ist stärker als ihre normative Wirkung.

Zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien hat die Bundesregierung 2016 den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verabschiedet. Ziel ist es unter anderem zu evaluieren, inwieweit große deutsche Unternehmen schon heute freiwillige Maßnahmen ergriffen haben, um Menschenrechte in ihrer Wertschöpfungskette zu schützen. Die ersten vorläufigen Ergebnisse zeigen erhebliche Schwächen in der bisherigen Praxis. Genaueres dazu hier.

Die UN-Leitprinzipien finden sich auch in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (siehe VEN-Weltwunder-Projekt) und den darin enthaltenden Globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, im Folgenden „SDGs“ genannt) wieder. Zum einen stellen die UN-Leitprinzipien einen Referenzrahmen für die Agenda 2030 dar. Zum anderen gibt es konkrete Anknüpfungspunkte in dem Ziel 8 („Menschenwürdige Arbeit für Alle“) und Ziel 12 („Nachhaltige Produktionsweisen“).

 

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