hassan abdulmaula

Hassan Abdulmaula, Sudan. Wohnort heute: Hannover

Die lange Flucht

Hassan Abdulmaula ist auf der Flucht, seit er zwölf Jahre alt ist. Er lebte in Flüchtlingscamps, schlug sich auf dem Bau durch, wurde in einem Geheimgefängnis gefoltert. Seine Heimat Darfur ist heute Synonym für Gräueltaten. Und die EU macht mit dem mit Haftbefehl gesuchten Präsidenten Verträge, damit Flüchtlinge wie Hassan Abdulmaula nicht nach Europa kommen.

Hassan Abdulmaula bittet zum Gespräch in das Rathaus im hannoverschen Stadtteil Linden. In der zweiten Etage gibt es ein Café, in dem der Verein Transition Town Hilfe zur Selbsthilfe für Erwerbslose und Flüchtlinge anbietet. Kaffee und Tee gibt es gegen Spende. Er begrüßt ein paar der Besucher und der Ehrenamtlichen, er ist selbst oft hier, ist Ansprechpartner in seiner Flüchtlingsunterkunft für die Helfer. Vor einer kleinen Bühne in dem großen Raum nimmt er Platz, legt die schwarze Basecap vor sich auf den Boden und bittet den Gesprächspartner dann, doch rechts von ihm zu sitzen. Denn auf dem linken Ohr ist er taub. „Das gehört auch zu meiner Fluchtgeschichte“, sagt er.

Hassan Abdulmaula wurde 1995 im Norden des Sudan geboren. Seine Heimatregion Darfur ist etwa so groß wie Frankreich, seit 2003 wütet dort ein Krieg, der meist verharmlosend „Darfur-Konflikt“ genannt wird. Bei dem Bürgerkrieg zwischen verschiedenen Volksgruppen in Darfur und Truppen der sudanesischen Regierung sind mehrere Hunderttausend Menschen gestorben, Millionen sind bis heute auf der Flucht.

Er will weiter zur Schule gehen - stattdessen landet er im Foltergefängnis

Im Jahr 2008 flieht Hassan, damals zwölf Jahre, mit seinen drei Geschwistern und der Mutter in ein großes Flüchtlingscamp der Vereinten Nationen in der Grenzregion zum Tschad. Drei Jahre bleibt er dort, dann geht er zurück in den Sudan, ein Onkel lebt in der Hauptstadt Khartum. Dort will Hassan eigentlich zur Schule gehen, die er nach vier Jahren verlassen musste. Er landet aber auf dem Bau, schlägt sich als Hilfsarbeiter durch und verputzt Mauern. In der Hauptstadt trifft er sich heimlich mit anderen jungen Leuten aus Darfur. Sie unterhalten sich, schicken Geld in die Heimat, auch um die Rebellen dort im Kampf gegen die Milizen der Regierung zu unterstützen.

sudanNach einem Treffen verhaftet ihn die Zivilpolizei. Beamte bringen ihn in ein unterirdisches Gefängnis, das es offiziell nicht gibt. Niemand erfährt, dass er dort ist. Hassan bleibt dort fast das gesamte Jahr 2014. Immer wieder foltern ihn die Männer. Sie wollen wissen, was er über die Rebellen in Darfur weiß. Er weiß nichts, sagt er. Sie schlagen ihn weiter, mit Fäusten, mit Flaschen, sie treten ihn mit schweren Militärstiefeln, immer wieder auch gegen den Kopf. Dabei verliert er sein Gehör auf dem linken Ohr. Einmal am Tag gibt es Essen, kein Sport, kein Tageslicht, kein Buch. „Dort bist du nichts“, sagt Hassan. Manchmal lebt er mit zehn Menschen in einem Raum, wenn Verhöre und Folter anstehen, ist er in einer Einzelzelle. „Ich dachte, das ist mein Ende“, sagt er.

Durch einen Zufall erfährt der Onkel von der Situation. Der gibt ein paar Leuten Geld, die Zellentür geht auf. „Ich war draußen, aber nicht frei“, sagt Hassan Abdulmaula. Die Wärter geben ihm zu verstehen, die Stadt besser schnell zu verlassen. Er bezahlt einen Schlepper, ihn nach Libyen zu bringen. Sechs Monate bleibt er im Osten des Landes. Dann erst kommt die Idee: „Ich gehe nach Europa.“

Als der Motor ausgeht, sind alle ruhig - kaum jemand glaubt ans Überleben

Am 2. Juni 2015 steigt Hassan an der libyschen Küste in ein Schlauchboot. Zwei Meter breit, zwölf Meter lang ist das Boot. 111 Flüchtlinge sind an Bord, kriegen kaum Luft, so eng ist es. Weil er den Dialekt der libyschen Schlepper spricht, zahlt er nur 600 Dollar, manche zahlen das Dreifache.
Hassan kann nicht schwimmen, eine Schwimmweste trägt er nicht. Abends um 11 Uhr geht es los, morgens um 6 Uhr geht der Motor aus. Die Sonne geht auf, oben ist Blau, unten ist Blau. Niemand weiß, wo sie sind. „Endlich, heute ist Ende“, sagt Hassan, als er auf den Moment zurückblickt. Er ist sicher, dass er hier sterben wird. Auf dem Boot sind alle ruhig, kaum jemand redet. Die Zukunft, das ist jetzt das Leben nach dem Tod. Hassan denkt an viele Freunde, die schon als Kinder gestorben sind. „Hey, vielleicht treffe ich die wieder“, sagt sich der gläubige junge Mann.

Nach ein paar Stunden sehen die Flüchtlinge einen Hubschrauber. Die Menschen werden wach, streiten plötzlich wieder, weinen, hoffen. Dann sehen sie in der Ferne ein riesiges Schiff. Hoffnung, aber auch Skepsis. „Die interessieren sich nicht für ein paar Flüchtlinge, die fahren weiter, Zeit ist Geld“, das denkt Hassan.
Das Schiff erweist sich als britisches Militärschiff. Sie retten die Flüchtlinge. Hassan weiß gar nicht mehr, wo er genau dann in Italien an Land gegangen ist. Er wird kontrolliert, dann geht es gleich in einen Bus nach Padova. Vom restlichen Geld kauft er eine Fahrtkarte nach München. Eine Woche, nachdem er in das Schlauchboot gestiegen ist, sitzt er nun im Zug nach Deutschland. Doch am Brenner, an der Grenze von Italien zu Österreich ist Schluss. „Kein Flüchtling fährt weiter“, sagen die Polizisten. Hassan wirft die Fahrkarte in den Müll, bleibt ein paar Stunden. Als er von der Toilette kommt, sieht er plötzlich einen Güterzug langsam losrollen in Richtung Norden. Er steigt auf, versteckt sich unter einem Tankwaggon. Nach drei Stunden stoppt der Zug, in Deutschland. Über ein paar Stationen im Süden kommt er nach Hannover, lebt die erste Zeit in einer Sporthalle und heute in einer Unterkunft mit einem anderen Sudanesen in einem Zimmer.

Hassan ist vielen Menschen in Deutschland dankbar. Aber er sieht auch die Schuld Europas an der Situation in seiner Heimat. Für Hassan ist Afrika wie ein großer Bauernhof für den Westen. Der Westen nimmt sich alles, Boden, Früchte, Tiere, Löwen als Trophäen, Stoßzähne als Schmuck oder für Potenzmittel. Nur die Menschen, die behandele der Westen schlimmer als Tiere. So wird im Sudan Gummi arabicum aus bestimmten Akazienarten gewonnen, zwischenzeitlich deckte der Sudan 90 Prozent des weltweiten Bedarfs. Beim Handelsembargo der USA gegen den Sudan wurde Gummi arabicum vom Verbot ausgenommen – weil ohne den Wundsaft des Baumes Softdrinks wie Cola nicht produziert werden können. Dass viele Leute im Westen den Zusammenhang nicht verstehen von der Ausbeutung und der Flucht der Ausgebeuteten, trotz ihrer langen Schulbildung, das erschreckt Hassan.

Despoten in Afrika sollen die Flüchtlinge von Europa fernhalten

sudan2Und dann sind da noch die Waffen. Deutschland exportiert Waffen für Milliarden, jedes Jahr. Waffen, die auch in den Kriegen in Afrika eingesetzt werden. Die EU, auch die deutsche Regierung, mache Verträge mit afrikanischen Diktatoren, um etwa an wichtige Rohstoffe zu kommen. Aber nicht nur das. „Sie machen jetzt auch Verträge mit Kriegsverbrechern, damit die dafür sorgen, dass die Flüchtlinge in Afrika bleiben.“ Das wichtigste Abkommen der EU und Staaten Ostafrikas ist der Khartum-Prozess, benannt nach der Hauptstadt Sudans. Die EU sichert darin zu, in Afrika Grenzbehörden zu unterstützen. „Training, technische Hilfe und Lieferung angemessener Ausrüstung, um die Migrationspolitik umzusetzen“. Die EU, und federführend Deutschland mit Sitz im Lenkungsausschuss, rüstet also den Sudan aus, während dessen Präsident vom Haager Kriegsverbrechertribunal mit Haftbefehl gesucht wird für die Gräueltaten in Hassans Heimat. Die taz zitiert aus einem geheimen Bericht des Auswärtigen Amts. Dort werden „maßgeschneiderte Länderpakete“ beschrieben, deren Existenz unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit gelangen dürften. Denn: „Der Ruf der EU stehe auf dem Spiel, wenn sie sich zu stark mit dem Land engagiere.“

Eine Ursache für die Situation im Sudan findet sich in Berlin. Im Winter 1884/85 wurde auf einer Konferenz der afrikanische Kontinent mit seinen mehr als 1000 indigenen Völkern in rund 50 Staaten gepresst, die die Kolonialmächte danach unter sich aufteilten und weiter nach Belieben ausbeuteten. Dabei wurde „die Zündschnur für zukünftige Kriege und zahllose ethnische Konflikte“ ausgelegt, sagt etwa der südafrikanische Geograph Matt Rosenberg. Nomaden konnten plötzlich nicht mehr mit den Jahreszeiten ziehen, anderen war der Zugang zu Wasser oder dem Meer verwehrt. Den Sudan teilten die Briten in Norden und Süden auf und bevorteilten den Norden, weil sie selbst nicht über Kräfte für eine Kontrolle des Südens verfügten. Nach dem Zweiten Weltkrieg vereinigten sie die beiden Staaten und hinterließen ein sozial, ethnisch und religiös gespaltenes Gebilde in die Unabhängigkeit, in dem bei den Bürgerkriegen 1955-1972 und 1983-2005 wohl 1,5 Millionen Menschen starben, und das 2011 mit der Gründung des Südsudan wieder geteilt wurde.

Es wird wohl 50 Jahre dauern, bis das Leben im Sudan wieder lebenswert ist, glaubt Hassan.

„Wir sind die Opfer der ersten Welt“, sagt Hassan. Seine Mutter und seine drei Geschwister leben immer noch im Flüchtlingscamp im Tschad, an der Grenze zum Sudan. Sie leben dort seit zehn Jahren. Die Mutter ist krank, der Magen ist kaputt von der Mangelernährung, auf einem Auge ist sie blind, das andere ist angegriffen. Dass es den Menschen in manchen Teilen der Welt gut geht, dafür muss es anderen schlecht gehen, so sieht es Hassan. Hat er Hoffnung, bald in ein friedliches Leben in der Heimat zurückzukehren. „Mensch, Mensch, nein“, sagt er, als sei die Frage ein bisschen naiv und auch ein bisschen gemein. Er glaubt, dass es eher 50 Jahre dauert, bis das Leben in seiner Heimat wieder friedlich und lebenswert ist. Deswegen fängt er in Deutschland ein neues Leben an, ohne Familie, ohne Schulabschluss, bei Null, wie er sagt. „Manchmal verliere ich schon den Mut“, sagt er.

Im August 2017 hat er eine Ausbildung angefangen, Gas-Wasser-Installateur, Klempner, wollte er werden. Aber nachts plagen ihn oft Alpträume oder er liegt gleich die ganze Nacht wach, denkt nach, über sein Leben, die Menschen, die er verloren hat, die Jugend, die ihm der Krieg genommen hat. Er muss die Ausbildung abbrechen, weil er morgens einfach zu kaputt, zu müde, zu traumatisiert ist. „Meine Alpträume sind sehr realistisch“, sagt Hassan. Es sind eigentlich keine Alpträume, sondern Erinnerungen.

Text: Gerd Schild

 

Grafik: Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e.V.

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